Wer Unruhe provoziert
Ein Essay von Jakob Tanner, emeritierter Professor für Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte, über die Filme Ruhe und Brot des Bäckers.
Ein Essay von Jakob Tanner, emeritierter Professor für Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte, über die Filme Ruhe und Brot des Bäckers.
Auszug aus dem Buch:
Mark Manhart, ein Ururenkel der Steinauer Brüder, lebt mit seiner Frau Bonnie Gill in Omaha und wird während der Dreharbeiten nicht nur zu einem Protagonisten und Zeitzeugen im Film, sondern auch zu einem Freund. Er und seine Frau leiten neben ihren Berufen als Zahnarzt und Saxophonistin das Grande Olde Players Theater, kurz: das GOP.
Kari ist auf der Suche nach einer Möglichkeit, wie er dem Erleben der Pawnee und der Oto-Missouria-Stämme von Native Americans – die wegen der Siedler weichen mussten und schliesslich in weit entfernte Reservate verbracht wurden – trotz ihrer Vertreibung eine Stimme geben kann. Nach ausgiebigen Recherchen und intensivem Nachdenken findet er eine Lösung: mit Gedichten zeitgenössischer indianischer Autoren.
Mark und Bonnie bieten die ganze Schauspieltruppe des GOP zum Probesprechen auf. Im Theatersaal in Omaha herrscht grösste Konzentration, Tonaufnahmen werden gemacht, der Hauswart wacht darüber, dass jeweils nur der oder die Nächste zum Casting eingelassen wird. Alle geben ihr Bestes. Und doch – Kari bleibt nachdenklich und unentschieden. Ronny Tanner vom Ton packt sein Equipment ein, Mark und Bonnie warten gespannt auf das Urteil. Während Kari nach einer Formulierung sucht, die seine Freunde nicht enttäuscht, nähert sich ihm der Hauswart: Ob er es mit einem Gedicht auch versuchen dürfe? Kari weist den Ton an, mit dem Aufräumen noch einen Moment zu warten.
Sam Parkins beginnt – und Kari ist wie vom Donner gerührt. Das ist die Stimme, die er sucht! Selbst als Sam stolpert und neu ansetzt, hört er dem Mann ergriffen zu. Als dieser endet, benötigt Kari einen Moment, bevor er sprechen kann: Das sei ungekünsteltechter Ausdruck, in welchem die Tiefe des Gedichtes lebe! Da benötigt auch Sam einen Moment für seine Antwort: «Meine Mutter – sie war eine Pawnee.»
Jahre später schreibt Sam über die Zusammenarbeit: «Working with Carl was an incredible experience – and besides that a lot of fun. I did learn so much and would have loved being an actor studying under him.»
Quelle: Erinnerungen von Karl Saurer und Mails von Sam Parkins an Elena Fischli.
Stimmen zum Buch
«Das brillante Film- und Zeitzeugnis, nachhaltig bebildert, erweist sich als Dokument kreativer Rezeption, das nicht nur Cineasten, sondern auch Historiker und ein an Sozialgeschichte interessiertes Publikum begeistern wird.
Ein wunderbares Werk – vielschichtig, vielfältig, vielsagend. Umwerfend im Layout, in der Bilderzählung und reichen Textsammlung. Ein Vermächtnis zwischen zwei Buchdeckeln.»
Rolf Breiner/textatur
«Filme für den kreativen Widerstand ist in Zusammenarbeit mit Filmemacher und Grafiker Peter Volkart ein Kunstwerk geworden, eine kollektive Meisterleistung unter der Regie von Elena M. Fischli»
Küde Meier
«Das Buch ist wunderschön geworden und man kann sich wirklich darin vertiefen. Es ist eine Ermutigung, es Karl Saurer nachzutun mit Einmischen, Nachfragen und wo nötig Widersprechen.»
Martin Koerber, Kinemathek Berlin
«Filme für den kreativen Widerstand beschert einen hohen Lesefluss, überrascht mit dem veröffentlichten Bilderfundus, ist unterhaltsam und tiefgründig, regt an und stimmt nachdenklich.
Das Buch ist vielschichtig, bietet überraschende Einblicke und immer neue Assoziationen zu Themen, Charakteren und Prozessen, denen sich Karl Saurer Zeit seines Lebens gewidmet hat. Es offenbart, wie sich ein demokratisches Grundverständnis wie ein roter Faden durch sein künstlerisches Schaffen zieht.
Es kann als ermutigendes Beispiel gelesen werden, wie trotz vieler Hürden und Hindernisse immer die Freiheit der Wahl besteht, unbestechlich hinzusehen, sich kreativ, kritisch, unerschrocken und mutig einzusetzen.»
Gina Graber & Victor Kälin, Einsiedler Anzeiger
«Das Buch erlaubt eine «Zeitreise mit einem Filmpionier.»
Geri Krebs, Zuger Presse
Die Vorstellung im Kino Cameo vom Sonntag, 18. Februar 2024 war etwas ganz Besonderes:
mehrere der einstmals bewegten Protagonistinnen und Protagonisten waren anwesend und sahen den Film auch zum ersten Mal.
Es sind dies Rut Föhn, Hans-Ruedi Müller, Hartmut Frank und Max Bossard aus dem ehemaligen ETH-Experimentierkurs von Jörn Janssen, welche 1972 die brillante Studie „Göhnerswil – Wohnungsbau im Kapitalismus“ verfasst haben sowie Erwin Berger von der damaligen Lehrlingsgewerkschaft Winterthur.
Sie trugen zu einer spannenden Diskussion bei.
Elena M. Fischli (Hrsg.) und die Historikerin Verena Rothenbühler führten in das Buch und den Film ein.
mit Elena M. Fischli (Hrsg.), Thomas Pfister (Mitautor) und Jo Lang (Historiker)
Das Buch möchte als ermutigendes Beispiel gelesen werden können, wie trotz vieler Hürden und Hindernissen immer die Freiheit der Wahl besteht, sich mutig, kritisch und kreativ einzusetzen, wenn es um Menschlichkeit, Gerechtigkeit, den Schutz von Lebensgrundlagen und um wahre Demokratie geht.
Elena M. Fischli
Diese sozialkritischen Filme wurden auf Augenhöhe mit den Menschen erschaffen. Er nahm sie wahr und nahm sie ernst, auf ebenso natürliche wie respektvolle Weise. Es sind feine, komplexe Gebilde, die zum Denken anregen und gleichzeitig emotional berühren.
Thomas Pfister
Der Film Ruhe widerlegt viele Vorurteile, die über die damalige 68-er Bewegung kursieren. Er ist eine geballte Ladung! Inhaltlich sehr vielfältig, sehr differenziert!
Jo Lang
Unten geht es zur Aufzeichnung in ganzer Länge.
Drei spannende Einsichten – mit dem erschütternde Zeugnis Jo Langs über eine Doppelmoral: die einschneidende Repression durch einen jahrelang massiv sexuell missbrauchenden Priester-Präfekten.
Inzwischen ist ein äusserst interessiertes Publikum in Einsiedeln, Schwyz, Luzern, Zug und Zürich mit dem Buch „Filme für den kreativen Widerstand. Zum Wirken Karl Saurers“ bekannt geworden.
Alle Buchtaufen fanden in Kinosälen statt, wurden sie doch jedesmal begleitet von der Erstprojektion des bislang unter Verschluss gehaltenen Frühwerks von Karl Saurer „Ruhe“. Es ist in Zusammenarbeit mit Hannes Meier und Gerhard Camenzind entstanden im Auftrag des Schweizer Fernsehens, dann aber aufgrund seiner kompromisslos kritischen Analyse nie ausgestrahlt worden – bis es heute endlich den Weg zu einem begeisterten Publikum findet.
Die Politikerin Cécile Bühlmann, der Historiker Jakob Tanner und die auf Frauengeschichte der Schweiz spezialisierte Historikerin Elisabeth Joris führten in das brisante, einzigartige cineastische Zeugnis über Aufbruchs-Bewegungen anfangs der siebziger Jahre ein. Alle diese Bewegungen stellen ein Demokratie-Defizit zugunsten wirtschaftlicher Interessen fest. Und alle fordern grundlegende, aber sehr konkrete Neuerungen im politischen und soziokulturellen Bereich.
Cécile Bühlmann betonte, wie befreiend sie damals die Kraft der Frauenbewegung erlebt hat, die nicht nur Gleichberechtigung forderte, sondern auch Schluss machen wollte mit einer repressiven „schwarzen“ Pädagogik – einer Pädagogik im Elternhaus und in der Schule, die auf Anpassung, Unterordnung und Verboten basierte. In den fünfzig Jahren seit der Entstehung des Films sei das Glas nun doch halb voll geworden mit einigen wichtigen Anliegen, die umgesetzt werden konnten.
Jakob Tanner verwies auf die vielfältigen Formen eines nicht nur politischen, sondern auch soziokulturellen Aufbruchs, der schon vor 1968 begonnen hatte und bis in die Mitte der Siebziger Jahre anhielt. Eines Aufbruchs, der sich verbunden fühlte mit grösseren, transnationalen Protest- und Befreiungsbewegungen, wie dem Protest gegen den Vietnamkrieg in den USA oder dem Kampf gegen Rassismus.
Eines Aufbruchs auch, der viele Bereiche erfasste und beispielsweise auch Lehrlingsgewerkschaften entstehen liess oder mehr Mitbestimmung und Mitgestaltung in Bildungsbelangen einforderte.
Elisabeth Joris schilderte eindrücklich, temperamentvoll und anhand konkreter Beispiele, wie repressiv noch bis in die achtziger Jahre „Ruhe und Ordnung“ als oberste Prinzipien gewaltet hatten und wie sehr von einer jungen Generation ein Ausbruch aus der Enge ersehnt wurde.
Dass nicht wenige Bürgerinnen und Bürger von direkten oder indirekten Berufsverboten betroffen waren, wenn sie sich kritisch gegen die hehre Militärpflicht äusserten oder sich gegen die fremdenfeindlichen Überfremdungsinitiativen engagierten.
Alle ReferentInnen erachten den Film als ein wertvolles Zeitdokument, das der Öffentlichkeit erhalten werden muss, weil es mit direkt Betroffenen eine breit gefächerte Neuerungsbewegung dokumentiert.